G7-Ankündigung zu Kohleausstieg: FDP wettert gegen grünes Versprechen (2024)

Die Einigung der führenden westlichen Industrienationen (G7) einschließlich Deutschlands, möglichst bis 2035 aus der Kohleverstromung auszusteigen, könnte zum nächsten Krach in der Ampelkoalition in Berlin führen. Die Liberalen von Bundesfinanzminister Christian Lindner pochen darauf, dass das gültige Kohlausstiegsgesetz als Enddatum 2038 vorsieht, auch wenn im Koalitionsvertrag steht, dass es „idealerweise“ auf das Jahr 2030 vorgezogen werden soll.

„Nach dem Kernkraft-Alleingang aus 2022 macht Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen jetzt den nächsten unabgestimmten Schritt bei der Kohle“, kritisierte der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Michael Kruse, im Gespräch mit der F.A.Z. Er verwies darauf, dass sich zwar in den westdeutschen Kohlerevieren der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen sowie der Energiekonzern RWE auf einen vorzeitigen Ausstieg bis 2030 geeinigt hätten. Das gelte aber nicht für die Braunkohleförderung und -verstromung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

Abschlusserklärung wird erwartet

„Ich kann dem Klimaminister Habeck nur dringend raten, sich in Sachsen und andernorts vor Ort um Lösungen zu bemühen, anstatt international einseitige Zusagen zu machen“, wetterte Kruse. Am Montag hatten sich die G7-Minister für Klima, Energie und Umwelt bei ihrem Treffen in Turin auf den Kohleausstieg in der ersten Hälfte der Dreißigerjahre geeinigt; die Abschlusserklärung wird für den heutigen Dienstag erwartet. Für Deutschland waren Umweltministerin Steffi Lemke und Habecks Staatssekretärin Anja Hajduk (beide Grüne) angereist.

Zur G7 zählen neben Deutschland und Italien – das derzeit die Präsidentschaft innehat - auch die USA, Japan, Großbritannien, Frankreich, und Kanada. Kruse schimpfte, das unabgestimmte Vorpreschen der grün geführten Ministerien auf der internationalen Bühne in Turin schade nicht nur der Einheit in den neuen Bundesländern, sondern auch der Geschlossenheit der Bundesregierung: „Dieser Beschluss spaltet, anstatt zu einen. Das gilt für den Osten sowie für die Koalition."

Ziele in Übereinstimmung mit dem Kohleausstiegsgesetz

Die Bundesregierung teilte hingegen mit, die Übereinkunft von Turin vertrage sich ohne Abstriche mit den deutschen Kohleausstiegsgesetzen und mit dem Koalitionsvertrag. "In Deutschland steigen wir aus der Kohle aus, gesetzlich bis spätestens 2038, unser ist es Ziel aber – so haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart – schon früher auszusteigen – idealerweise 2030“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. „Deutschlands nationale Ausstiegsziele stehen damit im Einklang mit dem Beschluss der G7.“

Er verwies darauf, dass es im Abschlusskommuniqué heiße, der Ausstieg erfolge „aus der CO2-ungeminderten [unabated] Kohleverstromung in einer Weise, die mit der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze vereinbar ist“. Das bedeutet, dass die Kohleverstromung in Ausnahmefällen auch nach 2035 zulässig sein wird. Nämlich dann, wenn sich die Verfeuerung im Einklang mit dem Ziel der Staatengemeinschaft fortsetzen lässt, die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf maximal 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

CCS-Technologie soll mithelfen

Wie zu hören ist, hatte Japan diesen Kompromiss hineinverhandelt, da es auch nach dem Zieldatum weiterhin Kohlekraft brauchen werde: vermutlich versehen mit Abscheide- und Speichertechniken für Kohlendioxid (CCS-Verfahren). Diese Möglichkeit zur Dekarbonisierung hatte die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen COP28 Ende vergangenen Jahres in Dubai als zulässig festgeschrieben. Auf ein Kohleausstiegsziel hatten sich die fast 200 Vertragsstaaten dort hingegen nicht einigen können. Das hat die G7 jetzt im Kleinen nachgeholt.

Dazu sagte der britische Energiestaatssekretär Andrew Bowie in Turin: „Das ist eine historische Übereinkunft, die wir bei der COP 28 in Dubai im vorigen Jahr nicht erreichen konnten.“ Den Europäern erschien der Zeitpunkt in Italien günstig, um die Amerikaner an Bord zu holen. Die US-Umweltschutzbehörde EPA hatte vergangene Woche Regeln erlassen, wonach die amerikanischen Kohlekraftwerke bis 2032 mindestens 90 Prozent ihrer Emissionen verringern oder einfangen müssen.

Hoffnung auf Biden

Die Hoffnung der EU-Staaten ist, die vergleichsweise ökologisch ausgerichtete Regierung des demokratischen Präsident Joe Biden zu möglichst vielen internationalen Vereinbarungen zu bewegen. Denn nach den Wahlen im November könnte der neue Präsident wieder Donald Trump von den Republikanern heißen, für den der Klimaschutz als weniger wichtig gilt.

„Gut, dass sich die G7 zum Ausstieg aus der Kohleverstromung bekennen“, sagte der Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung sei laut der Internationalen Energieagentur IEA einer der wichtigsten Schritte, um den 1,5-Grad-Celsius-Pfad zu erreichen. „Dass nun auch Japan und die USA an Bord sind, zeigt, dass die Industriestaaten in der Kohle keine Zukunft mehr sehen.“

Kritik aus Sachsen

Wie von der FDP so kam auch aus den ostdeutschen Bundesländern Kritik an dem G7-Beschluss zum vorzeitigen Kohleausstieg. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) monierte, damit „zerstört die Bundesregierung das Vertrauen in die Beteiligungsprozesse und die Verlässlichkeit vereinbarter Kompromisse“. Er verwies darauf, dass „wir ein gültiges Gesetz haben, in dem das Ende der Kohleverstromung für das Jahr 2038 festgelegt ist“. Dieses Gesetz hätten viele gesellschaftliche Gruppen nach langem Ringen gemeinsam herbeigeführt. „Statt weiter im Blindflug nach dem Prinzip Hoffnung braucht unser Land einen realistischen Plan für die Energieversorgung“, forderte der sächsische Regierungschef in Boxberg in der Oberlausitz.

Mit Verweis auf die am Dienstag von der F.A.Z. bekanntgemachten Zahlen zu den Kosten für die Energiewende sagte Kretschmer, der Umbau werde bis 2035 rund 1.200 Milliarden Eurokosten: „Es ist völlig unklar, woher dieses Geld kommen wird, wer die Investitionen umsetzen könnte und ganz entscheidend: was diese Horrorsumme für die Strompreise und damit für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschland bedeuten würde.“

In Sachsen finden am 1. September Landtagswahlen statt. In den Umfragen liegen CDU und AfD in etwa gleichauf an der Spitze. In Brandenburg, einem weiteren Kohleland, wird am 24. September ebenfalls ein neues Parlament gewählt. Die AfD liegt dort in den Umfragen vor der regierenden SPD. Die rechte Partei ist gegen den Kohleausstieg in seiner jetzigen Form und stößt auch deshalb in Ostdeutschland auf Zustimmung.

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Das wichtigste Unternehmen zur Förderung und Verstromung von Braunkohle in den neuen Bundesländern ist der Konzern LEAG in Cottbus. Die Gruppe investiert zwar auch kräftig in erneuerbare Energien, will aber an der Kohlenutzung so lange wie gesetzlich erlaubt festhalten, also bis 2038. Damit sichere man Tausende Arbeitsplätze, erzeuge eine hohe Wertschöpfung, belebe strukturschwache Regionen und sorge nicht zuletzt für eine verlässliche Energieversorgung, hieß es in der Vergangenheit immer wieder. Zur aktuellen Diskussion um die G7 sagte ein Unternehmenssprecher am Dienstag sehr eindeutig: „Für die LEAG gilt das gesetzlich festgelegte Kohleausstiegsdatum.“

Der Sprecher von Habecks Ministerium entgegnete, dass schon 2023 so wenig Kohle verstromt worden sei wie seit den Sechzigerjahren nicht. „Durch den immer schnelleren Zubau der Erneuerbaren Energien werden wir immer weniger Kohle brauchen. Im letzten Jahr haben wir bereits 52 Prozent unseres Stromverbrauchs mit Erneuerbaren Energien gedeckt“, stellte er klar.

Was den früheren Ausstieg in Ostdeutschland angehe, so sei man mit der LEAG und bezüglich der Beihilfen mit der Europäischen Kommission in Brüssel bezüglich „in guten Gesprächen“. Details könne er nicht nenne, um das Verfahren nicht zu gefährden: „Eine finale Entscheidung soll möglichst bald getroffen werden.“

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